Die Farbe Braun

Gedanken zur Landtagswahl in Thüringen – und der erste Beitrag der Textgewalten-Kolumne.

Lesedauer: 10 – 12 Min.


Die Landtagswahlen vor sieben Tagen haben es mal wieder gezeigt. Die AfD erhält Zuspruch. Im Grunde kein Problem, wenn sie nicht die wären, als die sie sich des Öfteren offenbart haben. Doch warum wählt ein Viertel der Bürger Thüringens die AfD? Und vor allem: Warum greifen immer mehr jüngere Wähler zum braunen Filzstift?

Nun, wir waren tatsächlich nie in Thüringen – bis auf ein paar Ausflüge zu Zeiten unserer Grundschule. Aber wir waren vor kurzem in Sachsen. Genauer gesagt: In Görlitz. Wie es dort zu einem Großteil aussieht, seht ihr oben. Urbaner Friedhofskult. An jeder Ecke. Schön zu fotografieren, schön anzuschauen, günstig zu mieten.

Doch dort leben? Wohnen und arbeiten? Wenn man nicht gerade ein digitaler Nomade ist, scheint das auf den ersten Blick schwer. Denn bis auf den prachtvollen historischen Stadtkern und ein paar schöne kleine Lädchen gibt es in Görlitz für Außenstehende erstmal nicht viel. Wo in anderen Städten das Leben wie arterielles Blut durch die Adern bollert – beruflich wie auch kulturell – scheint Görlitz eher unter einer Thrombose zu leiden. Vor allem im Vergleich zu Städten, in denen das punkig-ruinöse für schnieke Tanzbuden, Kunst, Kultur und Austausch genutzt wird.

Görlitz wirkte trist, verlassen, im Stich gelassen.

Ausschließlich Braun, bitte

Auch die Politik gab sich bei unserem Besuchswochenende eher bedrückend und einseitig: So war auf dem Marktplatz ein großer Stand der AfD aufgebaut – und zwar ausschließlich der AfD. Umgeben von einem Pulk von Security, fand sich dort sogar die adrette Führersdame Alice Weidel ein – über das Pflasterstein-Parkett schnurrend, wie eine der Kittler-Katzen im Führerbunker. Sie war Zuhause, das spürte man. Aufgrund dieser heimatlichen Gemütlichkeit wirkte die Konstellation jedoch weniger wie ein Akt des Wahlkampfes als wie ein privater Gang-Bang. Fünf muskelbepackte Männer, eine Blondine, literweise braunes Sperma. Ein Sinnbild für jeden, der es sich wünscht, unterdrückt zu werden.

Auf einer Bank saßen ein paar angetrunkene und mit krakeligen Tattoos versehene Männer, die dem AfD-Stand, oder dem Gang-Bang, mit braunen Pullen in der Hand offenkundig Zuspruch gaben. Und die anwesende Polizei beleidigten: „Unter Hitler würde es euch ganz schön an den Kragen gehen, ihr Wichser“ war in etwa der Wortlaut. Sonst waren nicht viele Menschen da, die eine vielversprechende politische Haltung verkörperten. Bis auf einen Mann. Einen Lehrer.

Er verteilte mit seinen alternativ gekleideten Schülern Plastiktüten an die über den Marktplatz spazierenden Mitmenschen. „Zum Überziehen über die Schuhe, damit ihr mit euren sauberen Schuhen nicht in die braune Scheiße tretet.“ Das einzige Interesse jedoch, dass dem Mann und seinen Schülern in dem Moment unserer Anwesenheit zu Teil wurde, kam von einem Passanten, der sagte, dass dies nicht gerade umweltfreundlich sei. Ein weiterer Kommentar kam von der Polizeistreife, die ihm mitteilte, dass er die kleine Versammlung hätte anmelden müssen. Plötzlich bekamen wir Lust, mit den Asis auf der Bank zu sitzen und aus der braunen Pulle zu süppeln, um uns in den Angriffsmodus zu saufen. Nein, ist natürlich nur Spaß. Auch wenn es zum Heulen ist.

Im Knochenreich der Venusfliegenfalle

Wir verließen den Marktplatz alsbald und kamen am Abend beim Essen in ein Gespräch mit einer Ur-Sächsin – fünfzig Jahre alt und mit Job in einer guten alten deutschen Sparkasse (Ihr wisst schon, diese Halsabschneider mit den unanständigen Gebühren). Die Frau hatte zwei erwachsene Kinder, einer in Ausbildung, eine am studieren, zwei große Häuser, drei Autos, und eine bauernhofgroße Wiese hinter dem dörflichen Anwesen, auf der man ein ostdeutsches Woodstock der Liebe und Anerkennung stattfinden lassen könnte. Doch statt Spaß und coolen Leuten gab es auf dem Riesenacker nur endlos viel dahinvegetierenden Krempel. Abermals trist, verlassen und – im Stich gelassen.

Der Abend war eigentlich ganz nett, aber als das Gespräch auf eine Mitarbeiterin dieser Dame fiel, eine Syrerin, schwank plötzlich ihr Ton um. „Der würd ich am liebsten ins Gesicht schießen“, war eine der Aussagen, die sie von sich gab.

Man könnte jetzt sagen, das klingt irgendwie wie „den Hals umdrehen“, oder so. Tat es aber nicht. Es klang schnodderig, wütend, aggressiv, und: brutal.

Es bestand auch kein Zusammenhang zu der Arbeit, die die Frau aus Syrien verrichtete. Sie arbeitete offenbar zufriedenstellend und legte dasselbe Drohnenverhalten an den Tag wie der gute deutsche Einheitsbürger auch. Daher ließ sich die Aussage „ins Gesicht schießen“ ausschließlich mit der fremden Herkunft der Dame in Verbindung bringen. „Ins Gesicht schießen“ und fremde Kultur ging auch noch. Und „Ins Gesicht schießen“ bei dunklem Haar und braunen Augen sowieso. Die Frau mochte keine Einwanderer dunklerer Couleur. „Sie kommen hierhin, obwohl sie hier nichts zu suchen haben, diese…“

Dabei fand sich in dem Dörfsken nicht ein einziger auch nur andersausschauender Gast. Nur blondierte Bauersjungen und -mädels. Verrückt, oder? Deswegen buchte die Dame auch nur Urlaub in Ländern, in denen braune Haut und dunkles Haar ein wenig seltener anzutreffen sind: Schweden zum Beispiel.

Später fing die Dame schließlich an, Halbwahrheiten zu erzählen, Geschichten von ganz offensichtlichen Fake-News, billigen Blognachrichten, über Social Media verbreitet und ohne jedwede valide Quellenangabe. Halbherzige Photoshoppings, die zu journalistischen Wahrheiten emporgehoben worden waren. Pseudonachrichten, bei deren Nacherzählung sie sich alle Mühe gab, uns auf ihre Seite zu bekommen.

Zwei Auszüge: „Die Fernsehsender bringen die doch alle mit, die Faschisten. Das sind keine echten. Das sind Statisten, um vom Wesentlichen abzulenken. Die echten Neonazis sind überhaupt nicht gewalttätig. Die Medien reden die schlecht.“

Und:

„Die sollen wieder zurück nach Aleppo. Die fahren doch sogar zum Urlaub dahin zurück. Dann können die doch gleich dortbleiben.“

Genau. Zum Urlaub.

Nach Aleppo.

Propaganda, Gleichschaltung und andere Wiederholungstäter

Wir beendeten das Gespräch dann irgendwann. Es hatte keinen Sinn. Seit einem halben Jahrhundert lief die Alte auf Gleichstrom, glaubte den Scheiß ihrer ideologischen Enklave. Da kann man nicht einfach umlöten und auf Wechselstrom schalten. Und das funktioniert genauso wenig bei jüngeren Leuten, die in dieser Umgebung aufwachsen. Da ist jahrelange, kontinuierliche Aufklärung von Nöten. Und die Vermittlung der Fähigkeit, sich selbstständig glaubwürdige Information verschaffen zu können. Eine Aufgabe, die einige in den letzten Jahren zu erfüllen versäumt haben. Und die nun in die Röhre schauen, sich immer noch wundernd, wie es zu so einem Ergebnis kommen konnte.

Am nächsten Tag fuhren wir zurück. Wir saßen im Zug und blickten über die Felder von Sachsen. Die Sonne schien. Ein schöner Tag. Gegenüber schlug ein älterer Mann eine Tageszeitung auf. Ein jüngerer daneben schaute auf sein Handy und scrollte mit dem Finger durchs Web. Von hinten hörten wir den dumpfen Klang eines Kopfhörers klingen. Schlagwörter wie Propaganda und Gleichschaltung hallten durch unseren Kopf. Propaganda und Gleichschaltung. Propaganda und Gleichschaltung. Propaganda und Gleichschaltung. Alte Begriffe, die nichts an Gültigkeit verloren haben. Propaganda und Gleichschaltung.

Ist es so schwer, sich für die Wahrheit zu entscheiden?

Dann hallten Materialismus und Armut durch unseren Kopf, während die Felder weiter an uns vorbeirauschten und wir uns der pulsierenden Metropole Dresdens näherten. Materialismus und Armut. Materialismus und Armut. Materialismus und Armut. Wenn das die Ursachen für unsere Ängste und Sorgen sind, haben wir dann nicht alle ein ganz anderes Problem? Und zwar alle dasselbe?

Und sollte uns das nicht alles ziemlich bekannt vorkommen?