Der Kötel

Eine Kurzgeschichte über die Konfrontation mit einer liebenswürdigen Mitbürgerin – und dem Exkrement ihres Hundes … 

Lesedauer: 10 – 15 Min.


Der Kötel war nicht größer als eine Haselnuss. Und so wie der kleine Yorkshire Terrier gepresst hatte auch nicht wesentlich unhärter. Ich ging gerade ­­– unter noch dunkelblauem, frühmorgendlichem Himmel – die Straße zur Bahn hinunter, als ich den kleinen grauhaarigen Stinker sah, wie er seinen Gutenmorgendiamanten zitternd durch die dreckigen Arschhaare presste. Sein dickes Frauchen hielt fein kontrollierend die Leine, und kramte bereits raschelnd in der schwarzen Kunstlederhandtasche nach dem Kackebeutel, um das morgendliche Stuhlensemble, das nicht mehr als ein kleiner Nugget war, auf nachhaltige Art und Weise entsorgen zu können.

Bis wir jedoch zum Kern der Geschichte kommen – meine Einmischung in die wahrhaft umweltschonende Hundefäkalien-Entsorgungsmaßnahme dieser dicken Frau – kugelte der kleine Kötel erstmal frisch gepresst einige Zentimeter auf dem Asphalt hin und her – was vielleicht auch ein frühmorgendliches Trugbild meiner Sinne hätte sein können – und blieb dann, beinahe unentdeckt, getarnt zwischen braunen Blättern, Buchecken und anderen Baum- und Zivilisationsresten liegen. Unscheinbar.

Der kleine Terrier, dem die Haare hipp, aber auch dümmlich naiv vor den Augen hingen, hörte sofort nach Beendigung seines morgendlichen Defäkations-Vorgangs mit dem Zittern auf und widmete sich wieder erleichtert und schwanzschüttelnd dem Aufschnüffeln von weiblichen Pissefährten. Viel mehr kann so ein überzüchteter Sofahund ja eigentlich auch nicht. Und auch wenn er süß ist: Richtig scheissen kann er eigentlich auch nicht. Trotzdem hielt sein Frauchen plötzlich einen Plastikbeutel in der Hand, mit dem ein Überlebender in jeder erdenklichen apokalyptischen Situation ein Notsignal zum Rettungshubschrauber hätte geben können. Leuchtendes Violett, und groß wie ein Mumien-Schlafsack für Erwachsene. Wollte sie den kleinen haselnussgroßen Knicker wirklich in diesen Riesenbeutel verfrachten? Das fragte ich mich, als sich ihr dicker Körper schwerfällig bückend nach dem Kötel streckte – den Arm bis zur Schulter in dem riesigen, mit kleinen Knochenornamenten bedruckten Plastiksack verborgen.

„Sagen sie mal, für den kleinen Knicker brauchen sie doch wirklich keinen Beutel, oder?“ sprach ich sie an. Der Beutel raschelte wie ein gigantischer Lenkdrachen an der stürmischen Nordsee, als sie sich mir hockend, aber leicht unbeholfen, mit den Unterarmen auf ihren dicken Beinen abstützend, zuwandte.
„Na doch. Ich möchte ja auch nicht in so etwas hineintreten“, sagte sie, während ihre Leggings ein gefährliches Knatschen von sich gab, von irgendwo zwischen ihren Schenkeln her.

Ein sozialer und ehrenwerter Gedanke, sagte ich zu mir selbst, mit Blick auf meine neuen Sneaker. Und da ich mir nur alle fünf Jahre mal ein neues Paar gönnte eigentlich von Vorteil für mich. Aber als mein Blick auf den Boden fiel, konnte ich den Kötel beileibe nicht mehr ausmachen. Er hatte sich versteckt. Wie lustig wäre es, dachte ich, wenn sie wirklich eine Haselnuss einpacken würde. Oder eine Buchecker. Aber so weit sollte es natürlich nicht kommen.

„Wissen sie“, sagte ich, „mal abgesehen davon, dass ich den Kackekiesel ohnehin nicht mehr erkennen kann – zwischen all dem Morast hier – finden sie denn nicht auch, dass die Tüte ein wenig groß ist für so einen kleinen Kötel wie den von ihrem Schmusehund?“
Die Frau schaute mich an. Und überlegte dann sichtlich, mit starrem Blick in den morgendlichen Himmel. Dabei taumelte sie leicht, immer noch hockend, auf den Zehenspitzen umher ­– gefährlich wankend, wie eine Boje auf stürmischer See.
„Ich mein, mit dem Beutel da können sie ja ein Segelboot bespannen“ sagte ich, und konnte nicht anders, als ihr in meiner morgendlichen Überheblichkeit ein Lächeln zuzuwerfen. Ein Lächeln, das sie nicht erwiderte.
„Das ist kein Schmusehund“, sagte sie stattdessen. Und wandte sich wieder ab. Sichtlich genervt.

Ich hätte es wissen müssen, dachte ich. Die Frau war ein Mensch, der sich nichts sagen ließ. Und ein Mensch, der Regeln befolgte – auf akkurateste Art und Weise. Zudem schwante mir, dass diese Frau diesen gewissen Charakterzug besaß, den manche Menschen an den Tag legen, wenn sie sich eigentlich mit Gleichgesinnten sympathisieren wollten. Solche Menschen, die Sachen sagen wie: „Diese Türken da drüben, diese Nachbarn, die immer diese komische Musik so laut ­haben – bis spät in die Nacht – schlimm sind die“, und die dann im Dialog eigentlich Dinge hören wollen wie: „Ja, wirklich schlimm wie laut diese Türken sind. Unsereiner würde nie so über die Stränge schlagen.“ Wenn einer selbst dann aber eine andere Meinung hat, multikulti gut findet und so, werden sie plötzlich feindselig. Ja, es sind immer die anderen. Und eine Regel ist eine Regel – egal wie dumm sie in manchen Momenten erscheinen mag. Hinterfragen? No Way. Scheiße verdammt, und dann stand auch noch Leitwolf auf dem kleinen Hundeleinen-Geschirr, umzeichnet von den Farben der deutschen Flagge. Ich hatte ja sowas von Recht.

Die Frau in der auf Hochspannung gestretchten Leggings dachte offenbar tatsächlich, dass sie, nur weil auf dem Kackebeutel von der Größe eines Seesacks ein grüner Punkt drauf war, etwas Gutes tut. Aber in dem Moment, als ich fast begann sauer zu werden, erkannte ich Gott sei Dank den Kötel wieder. Den Kötel, der stellvertretend für viele andere kleine Kötel stand, die wiederum stellvertretend für eine riesige Unmenge an Plastikmüll standen, die mir einfach sinnlos erschien. Schließlich muss so ein Frauchen seinen kleinen Köter ja auch nicht direkt auf dem Bordstein scheissen lassen, oder?
Und während dieser Brummer von Hundefanatikerin, immer noch hockend, so als würde sie gleich selbst scheißen, oh Gott bewahre, nach dem Schiss ihres Hundes suchte, begann ich in Gedanken abzuschweifen …

… denn eigentlich hätte sie mit dem Beutel gleich ein kleines Lebewesen ersticken können, dachte ich. Den bissigen kleinen Kampfköter von dem Fascho unten am Ende der Straße zum Beispiel. Dann wäre der Beutel wenigstens voll gewesen. So jedoch wird er irgendwann mit ganz viel wohligem Platz in seinem Innern durch die Ozeane dümpeln. Er wird einer kleinen putzigen Meeresschildkröte mit kleinen putzigen Kulleraugen begegnen, die dann nichtsahnend in diesen violetten Puffbeutel schwimmen wird. Oh, da sind aber viele kleine süße Knochen drauf. Da drin gibt es bestimmt viele tolle Snacks. Ja, das wird sie sich sagen, nachdem sie mutig ihr kleines Köpfchen aus dem schützenden Panzer gereckt hat. Durch die Knochensymbolik hinterhältig in die Todesfalle gelockt findet sie jedoch nur – als lächerliche Imitation einer Haselnuss getarnt – den morgendlichen Kötel eines Yorkshire Terriers aus Grevenbroich. All das, kurz bevor sich der violette Vorhang des Schildkrötenlebens für immer schließen und das kleine Tier langsam in der Dunkelheit des Ozeans bedecken wird, als sein immer fortwährendes Grevenbroicher Grabtuch aus unverwüstlichem Polyethylen.

Das durfte ich nicht zulassen!

„Sagen Sie …“, sprach ich die adrette Dame wieder an. „Was wäre denn, wenn sie den Hund einfach da, zwei drei Meter weiter, an diesem Gebüsch kacken ließen? Da zwischen Fernseher und Autoreifen. Das wäre doch gar nicht so umständlich, oder? Wäre doch cool, wenn sie so auf diesen Beutel verzichten könnten. Gibt ja schon genug Leute, denen es anscheinend scheißegal ist, was mit dem ganzen Müll passiert.“ Dabei zeigte ich auf die alte Röhrenglotze im Gebüsch. Doch die Frau schaute mich nur ungläubig mit offenstehendem Mund an.
„Sagen sie, was haben sie eigentlich für ein Problem?“ sagte sie, immer noch auf ihren Stempeln über dem Boden hockend, offenbar unfähig, den verlorenen gegangenen Hundeschiss wiederzuentdecken.
„Ja gar keins, ich finde es einfach nur nicht sinnvoll, was sie da tun. So einen Plastiksack für so einen …“
„Für so einen was?“ unterbrach sie mich. „Wissen sie eigentlich was es kostet, wenn das Ordnungsamt mich dabei erwischt, wie ich Hundekacke auf dem Bürgersteig liegen lasse?“
Ich sah ihr tief in die Augen. Da lag ein Autoreifen nebst Fernseher im Gebüsch und sie machte sich tatsächlich Sorgen um den Schiss von diesem kleinwüchsigen Köter. Und nein, natürlich wusste ich nicht was das kostet.

„Ich bitte sie“, sagte ich, „DAS – ist keine Hundekacke. Das ist, … ganz ehrlich, ich weiß nicht was das ist, aber …“  und in dem Moment bekam ich einen Einblick in ihre Handtasche:
Abermillionen von Hundekackebeuteln in unzähligen Farben taten sich dort vor mir auf. Manche der Beutel waren bedruckt mit Knochen, andere mit Herzchen und wiederum andere mit kleinen Hundewelpen. Und da wurde mir klar: Die Dame war, wie die Hexe mit ihrem Lebkuchenhaus in Gebrüder Grimms Hänsel und Gretel, eine Verführerin des Bösen.

„Meine Fresse. Sie schleppen da ja die reinste Zeltlandschaft mit sich rum. Da könnten tausend Dinosaurier reinscheissen“, sagte ich und musste komischerweise dabei lachen – vermutlich aus Hoffnungslosigkeit, oder aber, weil der mit den Dinosauriern echt gut war.
„Also von ihnen muss ich mir nun wirklich nichts erzählen lassen“, erwiderte sie. „Und schon gar nicht, wie ich den Kot meines Hundes zu entsorgen habe“. Dann wandte sie sich ab, sichtlich angefressen.
„Naja, sagte ich. „Sie könnten doch auch einfach, in Anbetracht der Größe dieses Kackoramas, einen Stock oder so nehmen, und den Kniggel da die paar Zentimeter rüber zum Busch purzeln. Oder ihn, hart wie er offenbar ist, mit dem Turnschuh rüberkicken.“
Dabei deutete ich an, ihn soft wegzuschießen.
„Würd‘ keiner merken.“
Sie schaute mich an. Entsetzen lag in ihrem Blick.
„Mit den Schuhen?“
„Ja, mit den Schuhen“, sagte ich. Und ich kickte nochmal lässig zur Demonstration mit dem rechten Bein.

„Sie sind doch ekelhaft.“
„Wieso ekelhaft?“
„Ja ganz einfach, … WEIL SIE EKELHAFT SIND. PUNKT.“
Und sie wand sich abermals ab. Es war hoffnungslos.

Ekelhaft, sagte sie. Dabei sind Hundeliebhaber doch die Schlimmsten von allen. Sitzen auf der Couch und kraulen ihren Kötern alle nur erdenklichen Stellen. Einige drücken ihren Hunden sogar auf der Analdrüse rum, wenn die da so eine Sekretverstopfung haben. Abartiger Scheiß. Aber den Hund dann noch nicht mal am Bein rammeln lassen. Ja ja, solche habe ich gern. Ich musste was tun. Und fing an, mit meinen Schuhen den Boden zu fegen …

„Ey, was tun sie da?“ fragte sie.
„Nichts, ich mach den Boden sauber“, sagte ich und fegte weiter. Schuhgröße 46 war ideal dafür.
„Lassen sie das“, sagte sie und versuchte, mich mit der kackebeutellosen Hand zur Ordnung zu rufen.
„Nichts da“, sagte ich. Und gab nicht auf.
Sie hatte keine Chance. Ich schob den ganzen Kladderadatsch an den Rand des Bürgersteigs, welcher hier, schräg unter der Autobahnunterführung, immer mehr zur Müllhalde verkam.
„Sehen sie, das sieht kein Mensch“, sagte ich. Doch sie blickte mich nur vollkommen entgeistert an.

„Sie sind verrückt“ sagte sie, und stemmte ihre dicken Ellenbogen auf ihre noch dickeren Oberschenkel, während sie versuchte, sich aus den Knien nach oben zudrücken. Doch es ging nicht. Sie war schon zu lange in der Hocke. Sie verlor das Gleichgewicht, und auf halber Höhe fiel sie nach hinten über. Ich wollte noch nach ihr greifen und sie auffangen, aber dabei wären mir vermutlich alle Bänder im Körper gerissen. Daher ließ ich sie fallen, so wie man als Holzfäller einen Baum fallen lässt. Es war ja keine große Höhe – und ihre Polsterung war gut. Dann hörte ich eine Art Pftssch, als sie mit ihrem pinken Windbreaker auf dem Rücken landete. Und ich ahnte das Schlimmste …

Auf dem Rückend liegend, zog sie plötzlich angewidert ihre Mundwinkel nach unten, und versuchte, nun selbst wie eine Schildkröte, die unglücklich auf dem Rücken gelandet war, wieder auf alle Viere zu kommen. Und als sie sich, von mir wegdrehend, auf die Knie begab, sah ich, was das matschige Geräusch ausgelöst hatte. Sie war in Scheiße gefallen. Frische, weiche Hundescheiße, die sich von uns unbemerkt im Schatten der Bushaltestelle befand. Und was für ein Schiss das war. Gigantoman. Und vermutlich sogar noch warm.

„Oh, wo kommt denn das jetzt plötzlich her?“ sagte ich, überrascht wie ich war.„Siiieeee, … „, sagte sie. „SIEEEEEEEE …“, doch es war bereits zu spät. Bevor sie richtig sauer werden konnte, fing sie bereits an sich zu ekeln und versuchte den dicken, offenbar wirklich noch warmen Schiss von ihrem Rücken fernzuhalten, indem sie ein Hohlkreuz machte und die Schultern nach hinten zog. Ihr kleiner Terrier sprang sie dabei an, kleffte freudig erregt umher, wollte an ihr riechen, bzw. an der frischen Scheiße.

„Sehen sie, dafür sind diese Beutel eigentlich gedacht“, sagte ich. „Hätten sie lieber diesen Schiss hier weggemacht.“ Und ich nickte zu ihrem rechten Arm, der immer noch bis zur Schulter in der mit kleinen Knochen gesprenkelten violetten Kacketüte steckte.
„Wenngleich man den natürlich auch – aus rein nachhaltiger Sicht – mit einem Papierbeutel oder einer Schüppe hätte …“ doch ihr Blick sagte mir, dass sie mich töten würde, wenn ich diesen Satz zu Ende aussprechen würde. Also hob ich entwaffnend die Hände. Immerhin war sie die, die in Scheiße gefallen war.„Die Reinigungskosten, die gehen auf ihre Kappe“, sagte sie, während sie schnaufend aufstand.
„Wieso denn das?“ fragte ich. „Sie sind doch umgekippt.“
„Weil sie, weil sie, … „, doch dann kam nichts mehr.

Sie wich von mir ab und ging – ihren fröhlich schwanzwedelnden Hund hinter sich herziehend – die Straße hoch. Mit einem gigantischen Scheißefleck auf dem Rücken. Doch ich war es, der als Verlierer aus der Sache herausging. Denn den Beutel streifte sie auf halber Höhe der Straße ab. Und stopfte ihn – unbenutzt wie er war – in einen blechernen Stadtmülleimer. Alles fürn Arsch, dachte ich. Doch leider nicht mal das.